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maßen, daß man anfing, eine Teuerung zu befürchten, die
auch wirklich eintrat und den Winter des Jahres 1816 den
Armen so furchtbar machte. Damals bemerkte der Unbe-
kannte zuerst Wolken auf Karolinens sonst so heiterer
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Stirn, auch ihre Augen schienen ihm minder strahlend
und angegriffen von den durchwachten Nächten.
In einer stürmischen Winternacht führte der Heimweg
den Fremden noch spät vor Karolinens Fenstern vorbei.
Schon in der Ferne vernahm man die weinerliche Stimme
der Alten und Karoline, die schmerzlich bemüht war, sie
zu trösten.
Er schlich näher, und auf Gefahr, als ein Dieb ergriffen
zu werden, blieb er lauschend vor den Fenstern stehen
und bemühte sich, durch die Offnungen der Vorhänge,
was sich im Zimmer begab, zu erspähen.
Auf dem Tische lag ein Papier, worauf beide hin und
wieder blickten oder deuteten. Es schien der Grund ihrer
Klagen. Die Alte weinte. Karoline wollte ihr Mut einsto-
ßen, aber ihre Stimme verriet, wie sehr sie dessen selbst
bedurfte.
»Warum trostlos? liebe Mutter,« sprach sie. »Herr Rigo-
let wird unsere Möbeln und Betten nicht verkaufen und
uns nicht eher aussetzen wollen, als bis ich das Kleid
fertig habe. Nur noch zwei Nächte Arbeit, und ich bringe
es zur Gignard.«
»Und wenn sie dich aufs Geld warten läßt, wie immer?
und wenn sie es dir auch gleich gibt, reicht es hin, den
Bäcker zu bezahlen?«
Es erfolgte ein neuer Ausbruch von Klagen, den Karoline
nicht zu lindern imstande war. »Ich will arbeiten,« sprach
sie, »das Klagen mindert nicht die Not.«
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Bald veränderte sich der Schauplatz: die Mutter begab
sich zur Ruhe, die junge Stickerin saß bei ihrem Werke
und arbeitete mit unermüdlicher Emsigkeit. Ein Stück
trockenes Brot lag vor ihr, unentschieden, ob es ihr die
Nacht hindurch zur Nahrung dienen oder ihr den Lohn
ihrer Mühe vergegenwärtigen solle.
Der Fremde weinte vor Mitleid und konnte sich nicht von
dem zarten Bilde der fleißigen Stickerin trennen. Er halte
eine Börse mit etwa zehn Goldstücken bei sich. Rasch
war sein Entschluß gefaßt, er drückte eine Scheibe ein
und warf die Börse hindurch, der jungen Stickerin gerade
in den Schoß, und eilte, ehe sie sich noch von ihrem
Schrecken erholt hatte, mit pochendem Herzen und glü-
henden Wangen davon.
Am andern Morgen ging er, scheinbar ganz ruhig und
den Kopf voller Geschäfte, vorüber, dennoch entging er
der Belohnung nicht, die seiner wartete.
Karoline öffnete das Fenster, blickte ihren Wohltäter mit
nassen Augen an und mit einer stummen Gebärde, als
wollte sie damit verkünden: »Nicht Worte sprechen den
Dank aus, nur das Herz fühlt ihn.«
Der Fremde schien nichts von all dem verstehen zu wol-
len. Nur am Abend spät schlich er leise noch einmal an
den Fenstern vorüber, sah eine Weile dem lieben Kinde
bei seiner Arbeit schweigend zu, und ehe sie noch seine
Anwesenheit ahnen konnte, machte er sich kopfschüt-
telnd auf den Heimweg.
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Von der Zeit an erschien der schwarze Herr nicht mehr in
der Rue de Tourniquet und schlug einen andern Weg ein,
wenn er an seine Geschäfte ging.
An einem heiteren Maisonntage, wo die schmale Strecke
Himmel recht heiter über die schwarzen Mauern, die sie
begrenzten, erschien, sprach Karoline zu ihrer Mutter,
indem sie die neuen Blumentöpfe begoß und pflegte:
»Liebe Mutter, laß uns heut nach Montmorency gehen,
wir haben in sechs Monaten keine frische Luft genos-
sen!«
Madame Crochard zog einen rotbraunen Merinoüberrock
an, setzte einen Seidenhut auf und nahm ihr unechtes
Kaschmirtuch um und ging so mit ihrer Tochter nach der
Ecke der Rue du Fauburg St. Denis und der Rue Enghien
zu, um sich dort ein Fuhrwerk auszusuchen. Karoline, in
einem weißen Kleide mit staubfarbigem Gürtel und eben-
solchen Schuhen, folgte ihr. Ein Strohhut mit rosenfarb-
nem Futter verbreitete ein wundersames Kolorit über die
zarten Züge. Ihre Haare waren mitten auf der Stirne ge-
scheitelt, die wie Alabaster glänzte und samt den heiteren
Augen, die von Vergnügen und Zufriedenheit strahlten,
ein Bild ihrer Seelenreinheit gewahrte.
Bevor sie die Ecke erreichten, um unter den Fuhrwerken
von der mannigfachsten Gestalt und Form das beschei-
denste sich auszusuchen, sahen beide Spaziergängerinnen
ihren schwarzen Herrn ruhig dastehen, als warte er auf
irgend etwas.
Lange schien er unentschlossen, ob er sich den Damen
nicht zum Führer anbieten sollte. Endlich mietete er ein
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Kabriolett nach Saint-Leu-Taverny und bot Mutter und
Tochter einen Platz an. Die Alte ließ sich nicht lange
nötigen. Erst als der Wagen schon auf dem Wege nach
St. Denis war, fiel es ihr ein, dem Fremden einige Artig-
keiten zu sagen, der Ungemächlichkeiten halber, die sie
und ihre Tochter ihm verursachten.
»Sie wollten vielleicht allein nach Saint-Leu fahren,«
begann sie mit großer Freundlichkeit, aber sie unterließ
auch nicht, sich über die Mittagshitze zu beschweren und
über ihren Katarrh, der, wie sie versicherte, sie nachts
kein Auge zutun ließ.
Man war auch kaum bis St. Denis gefahren, als die Alte
in sanften Schlaf versunken schien.
Ihre lauten Atemzüge jedoch kamen dem Fremden ver-
dächtig vor, er runzelte die Stirn und sah die Alte mit
sehr argwöhnischen Blicken an.
Allein Karoline versetzte ganz unschuldig: »Sie schläft!
Sie muß sehr müde sein, denn der Husten hat ihr keine
Ruhe gegönnt.«
Statt aller Antwort lächelte der Fremde Karoline mitlei-
dig an, als ob er sagen wollte: »Gutes, schuldloses Ge-
schöpf, du kennst deine Mutter nicht.«
Nach Verlauf einer halben Stunde aber, als der Wagen
auf der Pappelallee, die nach Eaubonne führt, im Sande
ging, glaubte der schwarze Herr, annehmen zu dürfen,
daß Madame Crochard wirklich schliefe, oder hielt er es
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nicht weiter für rätlich zu untersuchen, ob der Schlaf der
Alten verstellt sei oder nicht.
Wirklich schien es, als ob der heitere Himmel, die reine
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