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gleichzeitig von allen bemitleidet, das arme Kind, eingesperrt und ohne Papa, von
niemandem zu bändigen, von niemandem abzustellen, niemand traut sich, den
Kindern die Batterien wegzunehmen.
- 17Uhr 15, sagte jemand hinter uns, wer hat denn jetzt die Bundesligaergebnisse?
Ich lachte mit, leise.
- HSV gegen Bochum 4:1, rief ein anderer.
- 10:1.
- Nein, nein, meinte ein Experte ernsthaft, Bochum spielt heute in Köln. Und der HSV
ist in Kaiserslautern, glaub ich.
Ein anderer setzte sich mit der Meinung durch, daß Pokalspieltag sei. Frankfurt in
Schalke, das wisse er schließlich als Frankfurter genau. Jeder lobte die von ihm
favorisierte Mannschaft.
Die Frauen hatten andere Probleme. Unter uns flüsterten wir die Meldung weiter, es
seien Binden geliefert worden. Noch in dieser Situation achteten wir darauf, die
Männer mit solchen Nachrichten nicht zu behelligen. Sofort gingen viele Hände hoch,
und es dauerte fast eine Stunde, bis alle Frauen sich versorgt hatten.
Mir fiel die Geschichte meiner Freundin H. ein, die als Sechzehnjährige auf dem
Petersplatz in Rom stand und im Gedränge auf den Papst wartete, plötzlich eine
Hand unter ihrem Rock spürte, sich drehte und nur leise aufschrie, weil sie fürchtete,
den Papst zu erschrecken, der gerade erschienen war, aber den Mann noch sah, der
hinter ihr im Gedränge verschwand, und wie sie floh, heulend in die andere Richtung
rempelte und sich tagelang nicht beruhigen wollte vor Angst, der Grapscher habe
ihre Binde berührt.
Auf dem Weg zur Toilette schlug mir der Gestank mit jedem Schritt stärker entgegen,
aber ich hatte noch so viel Kraft, den Atem anzuhalten, die Tür aufzureißen und nach
einer Minute wieder auf dem Gang zu stehen. Ganz langsam ging ich zurück,
entdeckte Petra, sprach sie an, aber sie reagierte so apathisch, daß ich nicht einmal
sicher war, ob sie mich überhaupt noch kannte.
Als die Kinderspielzeuge allmählich verstummten, merkte ich, daß es Abend
geworden war. Ich versuchte, nach draußen zu denken, zu Rainer. Es war zu
mühsam. Ich fürchtete, mit dieser Anstrengung zu viele meiner Energien zu
verbrauchen. Ich hatte die größte Angst vor einer zweiten Nacht im Brutofen, aber ich
war sicher, daß der Kapitän und der Kopilot vorgesorgt hatten. Sie wirkten jedenfalls,
wenn sie auftauchten, nicht nervös, nicht übermäßig besorgt.
Das müde Kind, das nicht einschlafen will, wenn es noch hell draußen ist. Die
Flecken an der Wand, die Muster der Tapete, der Staub gesprenkelt mit Fliegendreck
im Lampenschirm. So fängt das Schlummern an, so werden Träume gebaut. Ich
suchte solche Flecken, Unregelmäßigkeiten an der Decke der Kabine, an den
Gepäckablagefächern, an den plastikbeschichteten Wänden rechts und links. Nichts,
wo der Blick anhalten, ausruhen und phantasieren konnte. Kein Summen, kein
Fliegentanz. Die Flugzeugkabine neu und makellos, das perfekte Äußere und
Funktionale paßte nicht zu den Verwundungen, die wir spürten. Das Kackgelbbraun
und das optimistische Orangerot der Polster, alles bremste die Phantasie. Die Griffe
der Fächer, die Knöpfe für Luft, Licht, Bedienung, das reichte nicht, um mir Gesichter
vorzustellen oder Tiere, galoppierende Bilder in Schwarzweiß, farbliche oder
figürliche Entsprechungen der Schrecken des vergangenen Tags. Eine Sekunde lang
dachte ich, die Leute im Gefängnis haben es besser, sie dürfen wenigstens solche
Spiele machen. Das Licht blieb an. Der Herr hinter uns schnarchte leise. Ich
überlegte, ob ich gern die Träume tauschen würde mit Ingeborg Wendland aus
Heusenstamm. Kurz darauf lag ich auf einer Sonnenbank.
Die Leute in den Gefängnissen, nur selten dachte ich an die, die gegen uns
getauscht werden sollten, die jungen Frauen und Männer, die sich als Armee
bezeichneten. In all den Jahren, in denen so viel von ihnen geredet wurde, hatte ich
sie nie verstanden, ihre Anschläge nicht, ihre Sprache nicht, ihre Ziele nicht. Ich
lehnte sie ab, weil alle sie ablehnten, aber ich hielt sie nicht für so gefährlich, wie sie
dargestellt wurden, ich hatte keinen besonderen Haß auf sie, nur Abscheu. Ich war
sicher, daß sie mit den falschen Mitteln arbeiteten, und ebenso sicher, daß sie mit
den falschen Mitteln bekämpft wurden, und daß der Polizei diese Gruppe im Grunde
sehr gelegen kam. Aber ich fühlte mich von ihnen nicht bedroht und hatte mich nie
näher mit ihnen befaßt, und ich hatte es eher für ein Zeichen ihrer Schwäche
gehalten, daß ihnen nichts anderes mehr einfiel, als die Freilassung ihrer gefangenen
und verurteilten Freunde zu erzwingen. In dieser Nacht aber sah ich sie in einer
ähnlichen Lage wie mich, in größeren Zellen, aber lebenslänglich, sah sie schwitzen,
stöhnen, schreien, sah sie schlaflos, traurig, verbissen, ich wußte, meine Träume
könnten ihre sein, mein Herzschlag, mein Kopfschmerz, meine verzweifelten
Beruhigungsformeln kratzten nicht nur an den Wänden dieser Flugzeugzelle, und alle
Hoffnungen ballten sich in den einzigen, den explosiven Wunsch: Raus! Raus hier!
Raus!
Den Kopf auf die Arme gelehnt, sehnte ich mich nach Bewegung. Ich lief, lief mit
Kindern um die Wette, es waren meine Kinder und schon so groß wie ich, etwa fünf-
zehn Jahre alt, ein Junge und ein Mädchen. Sie rannten schneller als ich, sie
überholten mich, hängten mich ab. Aber dann wurden sie kleiner und kleiner, die
Beine immer kürzer, und ich holte sie wieder ein, ich war außer Atem, aber schneller
als sie, die immer mehr schrumpften, bald auf die Große von Sechsjährigen, dann
von Zweijährigen. Ehe sie mir in der Hand zerschmolzen, lud ein Mann mit schwarzer
Hautfarbe uns zu einem Vortrag ein. Es saßen lauter Juristen in einem Saal, der
nach hinten hin offen war und in eine Schrebergartenlandschaft überging. Der
Bundeskanzler sprach. Die Kinder langweilten sich und wurden nun wieder größer.
Meine alte Tante Elli stand neben mir und sagte, kommt doch mit, ich habe dahinten
einen Garten, die Johannisbeeren sind reif und die Erdbeeren. Die Kinder gingen mit,
ich auch, obwohl ich das Gefühl hatte, der Bundeskanzler spreche nur zu mir.
Wie in einer dünnen Schale wachte ich auf. Vorsichtig bewegte ich die Glieder, die
Schale bröckelte. Es war der getrocknete Schweiß auf der Haut, der seit Tagen
gespeicherte, verkrustete Schweiß in den Falten der Bluse, der Hosen. Der eigene
Gestank war ebenso widerwärtig wie ein fremder. Es war kein Trost, nicht die einzige
zu sein, die so stank. Ingeborg massierte sich mit affektierten Bewegungen die
Hände. Und jetzt die Maniküre, dachte ich. Ich machte ihr die Massagebewegungen
nach.
Rainer ist nicht überrascht, als ich ihn einlade, mit mir zu kommen. Er zögert nicht,
schon im Fahrstuhl zieht er mir die Bluse aus, den Rock. Der Fahrstuhl hält auf
einem weitläufigen Dachgarten, ich knie halbbekleidet auf dem Gras. Er hat die
zärtlichsten Hände. Rainer mit Gerolds Gesicht. Ich streichle ihn, er wird immer
verrückter, wir laufen voreinander weg aufeinander zu. Gerold mit Rainers Gesicht.
Durch das hohe Gras der Blick auf ein Flugzeug weit oben.
Der Morgen dämmerte. Nach meiner Uhr war es vier, also mochte es hier sieben Uhr
früh sein. Die Stunden bis zur Entscheidung an zwei Händen, bald an einer Hand
abzuzählen.
- Sonntag heute, sagte ich zu Ingeborg und meinte, es werde alles gutgehen.
- Egal, ich geh nicht in die Kirche, sagte sie.
- Ich auch nicht. [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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